Otto Pächt (The Rise of Narrative in Twelfth-Century England) wies darauf hin, dass es vor dem 12. Jh. keine Tradition ausführlicher Bilderzyklen zum Neuen Testament gab.
Sarkophage mit Darstellungen der Wunder Jesu; Passionssarkophag; Rabbula Evangelium
Ausführliche Bilderzyklen gibt es in der frühchristlichen Kunst hingegen zum Alten Testament: Kallistus Katakombe, 3. Jh, Jonaszyklus; Katakombe an der Via Latina, 4. Jh.; Wiener Genesis, Byzanz, 6. Jh.; Cotton Genesis, Ägypten, 5. Jh.; eine Fortsetzung dieser Tradition erfolgte auch in den mittelbyzantinischen Oktateuch Handschriften, 11. und 12. Jh.; der altenglischen Aelfric Paraphrase, 11. Jh.; Caedmon Paraphrase in Oxford, 10. Jh.
Im Judentum ist die Bildberichterstattung bereits im 3. Jh. in der Synagoge von Dura Europos zu beobachten
Aussetzung und Auffindung des Mosesknaben in der Synagoge von Dura Europos 244 n.u.Z.
Überlegungen, wo diese jüdische Kunst ihre Wurzeln hat: Inschriften in den Malereien sind sowohl aramäisch, also auch griechisch; der rabbinische Einfluss ist deutlich sichtbar; es sei davon auszugehen, dass diese Themen auf eine frühere jüdische Buchkunst zurückgeht.
Ein weiteres Argument für die Existenz einer solchen spätantiken jüdischen Bildkunst sei die Tatsache, dass es in der frühchristlichen und mittelalterlichen christlichen Kunst immer wieder Fälle gibt, deren Ikonographie mit Hilfe der rabbinischen Bibelexegese (Midraschliteratur) gedeutet werden kann.
Salbung Davids durch Samuel, Synagoge von Dura Europos; Sacra Parallela Handschrift, Palästina 7. Jh. (?); Vatopädi Psalter, nach 1088. In diesem Fall ist die Deutung vor dem Hintergrund der rabbinischen Exegese nicht gegeben; die Parallelität zwischen den späteren christlichen und früheren jüdischen Versionen macht eine Verwandtschaft trotzdem plausibel
Eine ähnliche Sachlage ergibt sich aus der Darstellung der Arche Noahs in der Katakombe der Via Latina, diese weicht von den sonst in der Katakombenikonographie üblichen Darstellung ab und zeigt Noah im Beisein seiner Frau; eine analoge Darstellungsweise lässt sich auch auf einer Münze aus Apamea beobachten (193–253), wo außerdem der Szenenablauf von rechts nach links verläuft.
Einfluss der rabbinischen Exegese in der Katakombe an der Via Latina zeigt sich auch in der Darstellung Abrahams, der die drei Engel in Mamre bewirtet (Siehe: Christliche-jüdische Begegnungen in der Kunst http://phaidra.univie.ac.at/detail_object/o:472218) im Vergleich mit christlichen Parallelen, die nicht von der Midraschliteratur beeinflußt sind: Santa Maria Maggiore, Rom (432–36); San Vitale, Ravenna, (Beginn des 6. Jh.).
Die rabbinisch geprägte Abrahamsikonographie erscheint auch auf einem Sarkophag in der Kallistuskatakombe aus dem 4. Jh., sowie auf einem Wirkteppich im Domschatz von Halberstadt aus dem 12. Jh.
Katakombe an der Via Latina, Vertreibung Adams und Evas aus dem Paradies mit späteren Parallelen in der Schöpfungskuppel in San Marco in Venedig, 13. Jh., die auf die frühchristliche Cotton Genesis zurückgeht (Ägypten, 5. Jh.); Wiener Genesis; Albani Psalter, England, 12. Jh. (Pächt); Farfa Bibel, Ripoll, 12. Jh.; Hortus Deliciarum der Herrade von Landsberg, Elsass, 11. Jh.; Millstätter Genesis, 12. Jh.; eventuelle Darstellung der Schechina, der Einwohnung Gottes; Feuerrad; Cheruben.
Josefsgeschichte in der Wiener Genesis: Josef und die Frau des Potifar – diese Darstellung enthält zahlreiche außerbiblische Elemente (beruft sich hier auf Levin, Revel Neher, Gutmann) – diese haben zum Teil eine Parallele in den (nur noch in Kopien erhaltenen) Wandmalereien der Kirche San Paolo fuori le Mura. In beiden Darstellungen geht die Tatsache, dass die Frau des Potifar im Bett liegt auf die rabbinische Tradition zurück
In der Wiener Genesis basiert auch der Rest der Josefsgeschichte, nämlich die Episoden um Aseneth auf der außerbiblischen, jüdischen Tradition
Oktateuch-Ikonographie (vat. gr. 746): Darstellung des Sündenfalls mit einer Schlange mit vier Beinen und kamelartigem Aussehen – dieses Detail ist ebenfalls auf die jüdische Tradition zurückzuführen und basiert daher möglicherweise auf einer spätantiken jüdischen Vorlage (Weitzmann).
In der Zusammenfassung: wie weit diese [christlichen Bildformulierungen] die übernommenen jüdischen Bildvorlagen nur kopierten und wie weit sie sich von diesen zu eigenen Neuschöpfungen anregen ließen, die sie dann mit den verschiedenen jüdischem Relikten zu neuartigen Bildkompositionen verbanden, lässt sich im einzelnen heute nicht mehr sagen. Denn auch die jüdische Malerei der Spätantike war je von der hellenistischen Maltradition geprägt.
(Autorin: Katrin Kogman-Appel)
Das dazugehörige Bildmaterial, welches vom Center of Jewish Art (Hebrew University, Jerusalem) zusammengestellt wurde findet sich unter: http://phaidra.univie.ac.at/detail_object/o:524558
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